Das Gebäude

Nach der Erstellung des „Aktiv­Stadthaus“ im Effizienzhaus Plus Standard soll die Übertragbarkeit höchster Energiestandards auf Bestandsbauten untersucht werden.

Die HHS PLANER + ARCHITEKTEN AG hat für die ABG Holding Frankfurt zu diesem Zweck ein typisches Mehrfamilienhaus der 1950er im Frankfurter Riederwald, im bewohnten Zustand, saniert und die Wohnfläche durch Nutzung des nicht ausgebauten Dachraums erhöht.

Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse werden bereits bei der Sanierung der gegenüberliegenden Hauszeile angewendet. Die Ziele der energetischen Optimierung und Minimierung der Betriebskosten sind ebenbürtig. Die Sanierung wird hingegen im leeren Zustand vorgenommen. Das Erscheinungsbild wird durch punktuelle Anbauten zur Erweiterung der Wohnflächen aufgelockert.

Bestand:

Die Struktur des Stadtteils Frankfurter­Riederwald ist durch Mehrfamilienhäuser der 1950er Jahre geprägt. Anspruch war es, behutsam mit dem Charakter dieses Ensembles umzugehen. Im Bestand verfügten die Gebäude über baualtersklasse typischen Merkmale wie: traufständige Satteldächer unterschiedlicher Dachneigung, rotbraune Dachsteine, Fassaden in sandfarbigem Putz, Lochfenster mit unterschiedlichen Fenstermaterialien und Unterteilungen.

Sanierung:

Das Erscheinungsbild mit einer Putz Lochfassade und geneigtem Dach wurde in erhalten. Der Drempel und die Dachneigung wurden zur besseren Nutzbarkeit des Dachgeschosses als Wohnfläche sowie Optimierung des energetischen Ertrags der Photovoltaikanlage (PV), geringfügig erhöht. Dachflächenfenster zur Belichtung der neuen Wohnflächen und Entrauchung der Treppenräume wurden eingesetzt. Die Dacheindeckung besteht vollflächig sowohl auf der Ost­ als auch der Westseite aus anthrazitfarbenen PV­Modulen. Die Eingangsvordächer und die Bestandsbalkone wurden aus bauphysikalischen Gründen durch neue, thermisch getrennt, eigenständige vorgefertigte Betonrahmenkonstruktionen ersetzt. Zur Erreichung des Effizienzhaus Plus­Standards wurde zudem eine Dämmung der Gebäudehülle und Austausch der Fenster nötig. Die Eingriffe in die Wohnungen wurden auf den Eingang und die Badbereiche der Wohnungen eingeschränkt um mögliche Einschränkungen der Bewohner während der Bauphase zu minimieren.

Nachverdichtung:

Die Chance im Zuge der energetischen Ertüchtigung der Gebäudehülle und Gebäudetechnik auch Optionen die vorhandene Wohnfläche (WF) zu erhöhen wurde ergriffen. In das bisher nicht als WF genutzte Dachgeschoss wurden neue Wohnungen eingefügt. Gerade in angespannten Wohnungsmärkten, wie dem Frankfurter, kann hierdurch neues Angebote zur Entlastung geschaffen werden. Im Vergleich zu einem Neubau auf der „grünen Wiese“ konnte hier vorhanden Externe wie Interne Infrastruktur mitgenutzt werden. Es muss kein Grundstück erworben werden. Die vorhandene Erschließung und der Freiraum werden effizienter genutzt. Die sehr geringe Dichte im Quartier wurde erhöht. Vorhandene Infrastruktur kann hierdurch entsprechenden Anstieg von Bewohnern pro Haus besser genutzt werden.

Aus ökologischer Sicht ist eine Verdichtung sinnvoll. Eine weitere Ausweitung von Siedlungs­ und Verkehrsflächen war nicht nötig.

Einzelaspekte

1              Idee und Innovationsgehalt

Die Energiewende ist eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Mit diesem Projekt sollen Antworten für eine zukunftsfähige Sanierung von Mehrfamilienhäusern der 50er und 60er Jahren aufgezeigt werden. Der Anspruch ist es, diese künftig unter Verzicht auf fossile Energieträger klimaneutral zu betreiben. Der gefundene Ansatz wird prototypisch umgesetzt, durch ein Forschungsprojekt begleitet und als Leitfaden publiziert, so dass Anreiz dazu gegeben wird, diese Sanierungsstrategie vielfältig anzuwenden.

Das technisch robuste Konzept soll eine ausgeglichene Jahresbilanz von Wärme- und Stromverbrauch von Gebäudebetrieb und Nutzerausstattung durch regenerative Erzeugung ermöglichen. Zugleich sollen die Investitions- und schließlich Betriebskosten in einem Rahmen liegen, die eine sozial gerechte Nutzung zulassen. Zu den Konzeptbausteinen gehört eine wirtschaftliche Sanierung der Gebäudehülle (KfW 70, nahezu KfW 55) und damit verbunden eine erhebliche Reduzierung der Transmissionsverluste.

Eine Verbesserung des Wohnkomforts wird u.a. durch gute Luftqualität in den Wohnräumen mittels einer kontrollierten Lüftung erreicht. Die Wohnungszuschnitte werden in diesem Zug den heutigen Bedürfnisseen angepasst und ein direkter Außenbezug der Wohnungen durch neue Loggien und Terrassengeschaffen. Das bisher nicht ausgebaute Dachgeschoss des Gebäudes wird nutzbar gemacht. Anbauten werden die Serialität der Gebäudezeile brechen.

Auf der Südfassade wird eine experimentelle Organische Photovoltaik Anlage (OPV) zum Einsatz kommen. Die geplante Anlage wurde im Ideenwettbewerb Klimaschutz 2016 von der Stadt Frankfurt u.a. mit der Begründung ausgezeichnet, dass eine gute Übertragbarkeit möglich ist und hohe Potentiale für eine dezentrale regenerative Eigenstromerzeugung gesehen wird.

2              Gestalterische und baukulturelle Qualität

Der historische Duktus der 50er Jahre Fassaden bleibt erhalten und wird behutsam modernisiert. Mit der Aufbringung von Wärmedämmung und der Erneuerung der Fenster wird eine neue freundliche hellere Farbwahl in feinerem Putz getroffen. Die Dachneigung wird geringfügig angepasst, um die Nutzbarkeit für den Dachausbau zu verbessern. Als Synergie erhöht sich der Ertrag aus der geplanten dachintegrierten PV-Anlage. Diese in Farbigkeit und Detailierung nahezu flächenbündig in die Dachhaut integriert. Hierdurch weckt sie keine störenden Assoziationen und integriert sich in das Gesamtbild.

Insbesondere die Erweiterungsbauten werden das zuvor monoton wirkende Fassadenbild beleben. Die vor den langgestreckten Baukörper gestellten Kuben erhalten Faserzementplatten in gleicher Farbigkeit wie der Putz des Hauptbaukörpers. Durch das Fugenbild und die Exaktheit der werkseitig hergestellten Fassadenplatten werden sich die Erweiterungsbauten vom verputzen Bestand ohne kontrastreicher Farbigkeit absetzen. Die Länge des historischen Baukörpers wird dadurch gebrochen. Die Fensterflächen werden zudem vergrößert, um die Tagelichtversorgung zu verbessern. Hiermit, und mit der Ergänzung einer Loggia oder Terrasse für jede Wohnung, wird der direkte Außenbezug das Angebot von Wohn- und Aufenthaltsqualität deutlich erhöhen.

3              Funktionalität

Die Gebäudezeile Nebeniusstr. 12-20 weist nach dem Umbau 27 WE verschiedener Größe und Zuschnitte auf (Zwei- bis Fünfzimmerwohnungen). Dies gewährt die soziale Vielfalt der Mieterschaft.

Die bestehenden Wohnungsgrößen werden i. W. erhalten. Lediglich ein Raum je WE wird bei der Mehrzahl der Wohnungen um den vorgenannten Anbau ergänzt. Dort entsteht durch die maßvolle Vergrößerung jeweils ein großzügiger Raum, der als zeitgemäße, offene Wohnküche und Gemeinschaftsraum genutzt werden kann. Der zusätzlich vorgelagerte Balkon wertet diesen Wohnraum auf. Außer dieser Wohnraumergänzung behalten die Wohnungen die für die Bauzeit typische Kompaktheit und Flächeneffizienz. Damit soll auch der Gentrifizierung entgegengewirkt werden.

Die Wohnungen verfügen nach Umbau mit Ausnahme der großzügigen Wohnküche über nutzungsneutrale Zimmer. Große Wohnungen mit mehr als drei Zimmern werden i. d. R. zusätzlich zum Bad mit einem Gäste-WC inkl. Dusche ausgestattet, um den heutigen Nutzungsbedürfnissen gerecht zu werden.

An zentraler Stelle sind Fahrrad- und Kinderwagenräume in guter Erreichbarkeit geplant. Ebenso sind zentrale Wasch- und Trockenräume als Angebot vorgesehen, um mietereigene Waschmaschinen im UG aufstellen zu können und die Wohnungen vom Flächenverbrauch aber auch Schall- und Feuchteeintrag der Waschmaschinen zu entlasten.

4              Technisch-planerische Qualität

Das Ergebnis dieses Sanierungsvorhabens soll Vorbild für weitere ganzheitliche Sanierungen dieses Gebäudetyps sein. In einer umfangreichen Analyse wurde der Bedarf abgestimmt und für das weitere Vorgehen definiert. Um die reibungsfreie Zusammenarbeit der verschiedenen Beteiligten zu fördern, wurde das Planungsteam aus Architekten, Bauherrenvertreter und Fachingenieuren bereits zu einer sehr frühen Phase gebildet. Diese interdisziplinäre Herangehensweise ermöglicht es ein technisch, ökonomisch wie ökologisch optimiertes Ergebnis zu erzielen.

5              Ambition, Stimmigkeit und Praxistauglichkeit des Energiekonzepts

Die 50er Jahren waren in Deutschland vom Wiederaufbau geprägt. Für rund 2 Mio. zerstörte Gebäude musste Ersatz geschaffen werden. Wirtschaftliche Zwänge führten zur Umsetzung kleiner Wohnflächen, Tragwerken mit minimalen Lastreserven, bauphysikalischen Schwachstellen und vor Einführung der 1.Wärmeschutzverordnung (WSVO) zu sehr geringer Dämmqualität. Bei einer Vielzahl dieser Gebäude stellt sich nach 50-60 Jahren der Nutzung die Frage nach grundlegender Sanierung oder Rückbau.

Zielsetzung ist es, das Gebäude auf einen zukunftsfähigen Standard zu heben, CO2-Emissionen zu vermeiden und schlussendlich die Betriebskosten für die Bewohner kalkulierbar und bezahlbar zu halten. Nur dies wird es allen Gesellschaftsschichten ermöglichen in Gebäuden zu leben, die im Zuge der Umsetzung des Energiekonzepts der Bundesregierung in den kommenden Jahrzehnten saniert werden müssen.

Eine ähnliche Sanierungsstrategie konnte bereits an der gegenüberliegenden Gebäudezeile erprobt werden. Diese wurde hingegen im bewohnten Zustand durchgeführt, was einen guten Vergleich zur hier geplanten Sanierung im leeren Zustand ermöglicht.

Parallel zur Umsetzung wird an der Prozessoptimierung und Erhöhung der Ökonomie der hier angewendeten Sanierungsstrategien, mit finanzieller Unterstützung des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BSR), geforscht.

6              Übertragbarkeit und Multiplikationswirkung für nahezu klimaneutrale Gebäude

Von den rund 3 Mio. Mehrfamilienhäuser in Deutschland (mit 3 und mehr Wohnungen) sind rund 1 Mio. aus der Baualtersklasse der 50er bis 60er Jahre. Diese sind überwiegend unsaniert und bieten sich für eine direkte Übertragung der hier entwickelten Sanierungsstrategien an. Ein Leitfaden der parallel für das BSR entwickelt wird, ist Anleitung um weitere typgleiche Gebäude in dieser Form zu sanieren um einen wichtigen Schritt zur Umsetzung der Energiewende im Gebäudebereich zu leisten.

7              Aspekte der Nachhaltigkeit, ökologischer und ökonomischer Mehrwert; Umgang mit bestehender Bausubstanz

Die bestehende Bausubstanz wird fast vollständig erhalten und auf das Niveaueines Neubaus nach gültiger EnEV (2016) gebracht. Im Vergleich zu einem Abriss und Neubau ist nur eine geringe Menge an grauer Energie für die Sanierung und Erweiterung einzusetzen. Lediglich der zuvor nicht genutzte Dachstuhl wird erneuert, um eine Photovoltaikanlage tragen zu können, attraktive Wohnungszuschnitte zu ermöglichen und das Erscheinungsbild des Gebäudes aufzufrischen. Hierzu tragen ebenso die Anbauten und Vergrößerung der Fensterflächen bei. Diese Erhöhungen der Wohnfläche sowie die Anzahl der Wohneinheiten stellt sich im Zuge der Sanierung als sehr ökonomische Lösung dar und schafft es, einen Beitrag zur Entlastung des angespannten Wohnungsmarktes in Frankfurt am Main zu leisten. Die durchschnittliche Wohnfläche je Wohneinheit erhöht sich nur gering. Entsprechend wird die Wohnfläche je Bewohner nur leicht steigen und die Effizienzsteigerung des Gesamtgebäudes nicht, durch Zugewinn an Fläche, negativ beeinflussen. Durch das entwickelte Energiekonzept wird im Betrieb die benötigte Energie aus lokal verfügbaren erneuerbaren Quellen gewonnen. Die bisher durch den Betrieb emittierten CO2-Emissionen werden zukünftig vermieden.

Stand der Angaben: November 2017

Daten & Fakten

Architekt/PlanerHHS Planer + Architekten AG
OrtFrankfurt am Main
NutzungWohnen (Mehrfamilienhaus)
Baujahr1950
Größe (BGF)
Nutzfläche